Die öffentliche Hand erbringt ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten nicht immer selbst, sondern gliedert sie oftmals auf von ihnen beherrschte Kapitalgesellschaften aus. Innerhalb dieser (häufig: Stadtwerke-)Gesellschaften werden gewinnträchtige Geschäftsbereiche dann mit dauerdefizitären gebündelt und steuerlich verrechnet. Der Bundesfinanzhof sieht nun in der steuerlichen Begünstigung dauerdefizitärer Tätigkeiten kommunaler Gesellschaften einen Verstoß gegen das EU-Beihilferecht. Mit Vorlagebeschluss vom 13.03.2019 (Az.: I R 18/19) bittet er den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um entsprechende Klärung. Aber es besteht Hoffnung.
Viele Kommunen oder kommunale Verbunde unterhalten für ihre Einwohner Frei- oder Hallenbäder, Verkehrsunternehmen oder Kulturbetriebe. Der Bundesgesetzgeber begünstigt diese oftmals dauerdefizitären Tätigkeiten, indem er die aus ihnen resultierenden Verluste steuerlich anerkennt und ihre Verrechnung mit Gewinnen aus anderen Tätigkeiten ermöglicht. Besonders häufig profitieren hiervon Stadtwerke, deren Übernahme gemeinwohlbezogener Aufgaben (z.B. der Unterhalt eines Bäderbetriebes) „belohnt“ wird mit geringeren steuerlichen Belastungen für z.B. ihre Energiesparte. Bei diesem Verrechnungsmodell spricht man üblicherweise vom „kommunalen Querverbund“.
Der schönste steuerliche Verlustausgleich nützt aber nichts, wenn er nicht beihilferechtskonform ist.
Auf eine Vorlage des Bundesfinanzhofs soll der EuGH nun nämlich klären, ob die steuerliche Begünstigung aus dem kommunalen Querverbund gegen das Europäische Beihilfenrecht verstößt. Der Vorwurf? Auf Seiten privater Kapitalgesellschaften können verlustträchtige Tätigkeiten im Interesse der Gesellschafter das Ergebnis der Gesellschaft steuerlich nicht mindern. Durch den Nichtansatz einer verdeckten Gewinnausschüttung (vGA) auf Seiten öffentlicher Kapitalgesellschaften werden diese in zweierlei Hinsicht gegenüber ihren privaten Nebenbuhlern finanziell bessergestellt: einerseits werde potentiellen Mitbewerbern aus anderen Mitgliedstaaten der Betrieb bzw. die Eröffnung einer Schwimmhalle erschwert, andererseits würden aber auch die gewinnträchtigen Geschäftsbereiche durch die Möglichkeit einer Verlustverrechnung finanziell gestärkt.
Was ist der „worst case“?
Sollte es sich nach Auffassung des Gerichtshofs um eine Beihilfe handeln, so wäre die deutsche Regelung des Körperschafsteuergesetzes (KStG) zum Querverbund zumindest vorerst nicht anwendbar. „Vorerst“ deshalb, weil der EuGH sich lediglich mit der Frage befasst, ob mit der Begünstigung im steuerlichen Querverbund eine Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV verbunden ist. Eine solche muss jedoch nicht schon per se rechtswidrig und damit verboten sein. Im Einzelfall kann die Europäische Kommission sie nämlich nach Art. 107 Abs. 3 AEUV freistellen, wenn sie bestimmten – dort näher benannten – Interessen entspricht. Ein solches sog. Notifizierungsverfahren wurde bisher jedoch bis zum heutigen Tag noch nicht durchgeführt.
Das ist misslich, denn Beihilfeverfahren bei der Europäischen Kommission dauern ihre Zeit. Und bis zum Zeitpunkt einer Entscheidung – selbst einer positiven – dürfte die deutsche Regelung zum Querverbund nicht angewandt werden. Es besteht insoweit ein Durchführungsverbot nach Art. 108 Abs. 3 AEUV.
Die sog. „Alt-Beihilfe“: Was lange währt, bleibt erlaubt?
Allerdings verbleibt auch an dieser Stelle ein Rest Hoffnung: Das Durchführungsverbot gilt nämlich nicht für sog. Alt-Beihilfen. Das sind Beihilfen, die schon vor Inkrafttreten des EWG-Vertrages am 01.01.1958 Bestand hatten. Ob das aber beim kommunalen Querverbund der Fall war, wird unterschiedlich gesehen.
Denn einerseits privilegierte die Finanzverwaltung den steuerlichen Querverbund schon vor diesem Zeitpunkt; andererseits existierten weder Gerichtsurteile noch Verwaltungsanweisungen und der Gesetzgeber schaffte eine explizite Regelung erst mit dem Jahressteuergesetz 2009. Jene Regelung – die heutigen Absätze 7 bis 9 des § 8 KStG – sollte die bisherige steuerliche Handhabung aber nach Auffassung des Gesetzgebers gesetzlich nur absichern (BT-Drucks. 16/10189, S. 1, 69). Das spräche für das Vorliegen einer Alt-Beihilfe, was in der Literatur auch durchaus verbreitet vertreten wird.
Nicht aber vom BFH: Dieser stellt sich in seinem Vorlagebeschluss auf den Standpunkt, dass seine Spruchpraxis – die höchstrichterliche – die maßgebende sei. Da er den kommunalen Querverbund aber vor Inkrafttreten des JStG zumindest bei kommunalen Eigengesellschaften nicht anerkennen wollte, läge mit der Neuregelung durch das JStG auch eine Neu-Beihilfe vor. Diese müsse in der Folge auch dem Durchführungsverbot unterfallen.
Der EuGH muss hierüber wohl nicht befinden, da es sich um eine Verfahrensfrage handelt. Mit Spannung bleibt aber zu erwarten, ob er sich zumindest im Rahmen eines sog. „obiter dictums“, also einer Rechtsansicht, die nicht für die Entscheidungsbegrünung erforderlich gewesen wäre, äußern wird. Es scheint aber auch nicht ausgeschlossen, dass zumindest die Kommission schon zu Beginn eines (langen) Notifizierungsverfahrens „mit dem Zaunpfahl“ winken könnte.
Leider: Auch Eigengesellschaften mit technisch-wirtschaftlicher Verflechtung sind nicht aus dem Schneider!
Anders als vereinzelt vertreten, dürften die beihilferechtlichen Bedenken des BFH aber auch auf Eigengesellschaften insgesamt gemünzt sein und nicht nur auf solche, die Verluste verrechnen, ohne die Geschäftsbereiche technisch-wirtschaftlich verflochten zu haben. Das war nämlich im Streitfall nach der damaligen Gesetzeslage möglich, weil zwar der § 8 Abs. 7 S. 2 Nr. 2 KStG n.F. (keine vGA bei Dauerverlustgeschäften), nicht aber § 8 abs. 9 KStG (Verrechnung nur innerhalb zusammenfassbarer Geschäftsbereiche) rückwirkende Geltung hatte.
Die allgemein gehaltene Vorlagefrage sowie die einzelnen Ausführungen zu deren Begründung lassen aber kaum einen anderen Schluss zu, als dass diese „Gesetzeslücke“ womöglich der Anlass des Vorlagebeschlusses, nicht aber sein alleiniger Gegenstand sein soll.
Der „realistic case“: Was ist zu erwarten und zu raten?
Im Falle einer doppelt-negativen Entscheidung durch den EuGH und die Kommission – gewissermaßen dem „worst-worst-case“ – könnte für die Kommunen eine wichtige Finanzierungssäule für die kommunale Daseinsvorsorge wegbrechen. Denn eine Finanzierung von Dauerverlustbetrieben über den Bundeshaushalt wäre dann aufgrund der aktuellen Gesetzeslage nicht mehr möglich. Strenggenommen müssten bislang gewährte Vorteile sogar vom Bund zurückverlangt werden! Ob es dazu kommt, bleibt abzuwarten, scheint aber wegen der damit einhergehenden drastischen Folgen eher unwahrscheinlich.
Das steuerliche Privileg dauerdefizitärer Tätigkeiten der Daseinsvorsorge ist nämlich erklärtes Ziel des Gesetzgebers. In solchen Fällen ist mit erheblichem Widerstand der Mitgliedstaaten zu rechnen, zumal die Besteuerung von Unternehmen in den Kernbereich der staatlichen Wirtschaftspolitik fällt. Auf der anderen Seite meint die Europäische Kommission es mit dem Schutz des Wettbewerbs durchaus ernst. Das europäische Beihilfenrecht wird immer mehr zum Dreh- und Angelpunkt des Wettbewerbsschutzes und steht dem Kartellrecht in seiner Wirksamkeit kaum noch nach.
Dennoch scheint es eher wahrscheinlich, dass der Gesetzgeber – falls aus Brüssel / Luxemburg Bedenken geäußert werden – die bestehenden Regelungen überarbeitet. Das wäre zumindest in Teilen sogar für die Vergangenheit möglich, weil die steuerliche Verrechnung im Querverbund jedenfalls nicht per se und in jedem Einzelfall gegen Europäisches Beihilfenrecht verstößt! Aus diesem Grund muss die pauschale Bildung von (womöglich immensen) Rücklagen für „den Fall des Falles“ auch nicht zwingend alternativlos sein. Optionen, wo der Gesetzgeber vor allem handeln könnte, sind bei verschiedenen Anknüpfungspunkten denkbar. Je mehr solche Anknüpfungspunkte bei dem einzelnen Stadtwerk gegeben sind, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass keine Rücklagenbildung notwendig ist. Anknüpfungspunkte können bei indikativer Überlegung beispielsweise folgende sein:
- Kein Beihilfenverstoß bei bloß lokalen Auswirkungen? Üben Unternehmen Tätigkeiten nur im lokalen Umfang aus, verstößt ihre Begünstigung mangels Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels oftmals nicht gegen Europäisches Beihilfenrecht. Nach der sog. „Sieben-Zwerge-Mitteilung“ der Europäischen Kommission vom 29.4.2015 kann das angenommen werden, wenn die Tätigkeit bloß einen geografisch begrenzten Einzugsbereich hat und allenfalls marginale Auswirkungen auf grenzüberschreitende Investition zu erwarten sind. Damit sollte die erhebliche Rechtsunsicherheit reduziert werden, wenngleich die Mitteilung eben keine EuGH-Entscheidung ist. Noch hat der EuGH diese Linie jedenfalls nicht ausdrücklich bestätigt, so dass gleichwohl Restunsicherheiten bleiben.
Gerade bei kleinen Stadtwerken, die zum Beispiel einen Bäderbetrieb fern von nationalen Grenzen unterhalten, ist nicht auszuschließen, dass die Kommission lediglich lokale Auswirkungen annimmt. Angesichts der hohen wirtschaftlichen Integration in der EU muss allerdings im Grundsatz von einer Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels ausgegangen werden. Aufgrund der stark einzelfallorientierten Herangehensweise in Beihilfeverfahren stellt sich weiterhin die Frage „How local is local?“ - Kein Beihilfenverstoß bei geringfügigen Vorteilen: Beihilfen von begrenztem Umfang – grundsätzlich bis zu 200.000 € / drei Geschäftsjahren – können Art. 107 AEUV als sog. de-minimis-Beihilfen nicht erfüllen. Im betrauten Bereich liegt diese Schwelle sogar bei 500.000 €.
Ob diese Schwelle im Einzelfall allerdings über- oder unterschritten wird, lässt sich gerade bei Stadtwerken nicht immer mit einem bloßen Blick auf die Defizite in einzelnen Sparten feststellen. Gerade wenn mehrere Tätigkeiten in einer Einheit gebündelt werden, die womöglich noch vertikal integriert oder in einem Konzern strukturiert ist, erfordert die Prüfung einen gewissen Aufwand. - Keine Begünstigung bei wirksamer Betrauung: Dauerverlustgeschäfte sind oft sog. „Dienstleistungen von Allgemeinem Wirtschaftlichen Interesse“ (DAWI). Werden Unternehmen mittels eines Betrauungsaktes, der bestimmte gesetzliche Voraussetzungen erfüllt (Altmark Trans-Kriterien), zu ihrer Wahrnehmung verpflichtet, fehlt es an einer finanziellen Bevorteilung. Insoweit hat der Verlustausgleich dann nur ausgleichende Funktion.
Diesen Anforderungen wird § 8 Abs. 7 KStG momentan nicht gerecht. Ob und wie eine solche Betrauung durch Bundesgesetz zugunsten kommunaler Unternehmen erfolgen kann, ist schwierig. Denn vom Querverbund und dessen steuerlichen Auswirkungen profitieren auch gewinnträchtige Bereiche, die unzweifelhaft keine DAWI sind.
Obwohl die vorgenannten exemplarischen Erwägungen durchaus einen optimistisch stimmenden Gestaltungsspielraum für den Gesetzgeber bieten für eine Neugestaltung, so liegt der Ball doch bei ihm. Er bliebe auch in der Ausgestaltung grundsätzlich frei: Unter Umständen könnte er den Ausfall des steuerlichen Querverbundes auch über den innerstaatlichen Finanzausgleich anpassen. Die Kommunen könnten die erlangten Mittel z.B. weiter leiten, sofern die oben genannten Anknüpfungspunkte greifen. Darüber hinaus scheint es im Einzelfall denkbar, dass die Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO), z.B. bei Sportinfrastrukturen, helfen könnte.
Wichtig ist nur Folgendes: Die obigen Erwägungen dürfen nicht so verstanden werden, als bliebe ein Verlustausgleich selbst im „worst case“ einer negativen EuGH-Entscheidung möglich, falls sie auf ein Einzel-Stadtwerk zuträfen und der Gesetzgeber untätig bliebe. Bis zur abschließenden Entscheidung der Kommission würde weiterhin das Durchführungsverbot gelten – jedenfalls sofern keine Alt-Beihilfe vorliegt. Dieses betrifft aber die Anwendung des § 8 Abs. 7 S. 2 Nr. 2 KStG insgesamt und nicht nur in solchen Fällen, in denen seine Anwendung durch die Finanzverwaltung gegen Art. 107 AEUV verstoßen würde.
Um es hier noch einmal klarer zu stellen, der „worst case“ betrifft nur die Frage der Steuervergünstigung für die Eigengesellschaft durch den Querverbund und nicht den Aspekt, ob denn die Verlustverrechnung innerhalb der Eigengesellschaft zulässig ist. Das ist gesondert zu würdigen und nach aktueller Gesetzeslage auch im „worst case“ relativ rechtssicher gestaltbar, etwa durch Betrauung.
Zusammenfassend empfehlen wir zu schauen, ob das einzelne Stadtwerk die betriebswirtschaftliche Frage nach einer Rücklagenbildung auf ein beihilfenrechtlich rationaleres Fundament stellen kann. Insoweit dürfte die Wahrscheinlichkeit des „best case“-Szenarios einer positiven EuGH-Entscheidung im Rahmen der Risikoprognose natürlich eine mindestens ebenso wichtige Rolle einnehmen. Da sich Gegner und Befürworter dieses „Beihilferechtlichen Dauerbrenners“ aber schon seit Jahrzehnten in etwa die Waage halten, kann insoweit nur ein „Wink“ von offizieller Seite abhelfen.
Wir werden Sie hierzu auf dem Laufenden halten – gern auch proaktiv per Mail (bei Rückfragen: Jan.Reese(at)EEP.info; Tobias.Krohn(at)EEP.info)