Die italienische Regierung hat in den letzten Monaten wegen COVID-19 vielfaltige Dekrete erlassen, in denen das Konzept von Force Majeure weder definiert noch systematisch geregelt wurde. Die Normen verweisen auf das ital. Zivilgesetzbuch, welches das Konzept von höher Gewalt nur implizit und ohne eine klare Definition beinhaltet.
Um die jeweiligen geschäftlichen Rechtsbeziehungen in Verbindung mit Force Majeure in Zeiten von Coronavirus zu interpretieren und verstehen, müssen folgende Elementen berücksichtigt werden:
1) Das ital. Zivilgesetzbuch
Das italienische Zivilgesetzbuch sieht vor, dass wenn eine Leistung unmöglich wird und der Schuldner dafür nicht haftbar ist, die Vertragsverpflichtung erlöschen kann. Schadenersatz sowie Verzugsvertragsstrafen werden in diesem Fall gesetzlich ausgeschlossen.
Die Aufhebung eines Vertrages ist aber nicht automatisch! Der Schuldner muss konkret beweisen können, dass seine Leistung unmöglich geworden ist und auch dass er nicht dafür haftbar ist. Nur in diesem Fall kann der Vertrag ohne Haftung des Schuldners aufgehoben werden. Das gleiche gilt, wenn die Leistung nur vorübergehend unmöglich geworden ist, in diesem Fall haftet der Schuldner weder für die Verspätung, noch für eventuell vereinbarte Verzugsvertragsstrafen.
2) Die Rechtsprechung
Die hiesige Rechtsprechung hatte schon vor der Coronaviruszeit häufiger klargestellt, dass es sich nicht um Force Majeure handelt, wenn die Leistung für den Schuldner nur schwieriger geworden ist (sog. „Hardship“). In diesem Fall bleibt der Schuldner verpflichtet und er muss sich neu organisieren, um die (schwierigere) Leistung trotzdem durchführen zu können.
3) Die Eildekrete der ital. Regierung
Im neuen ital. Gesetzesdekret N. 18 vom 17.03.2020, sog. „Cura Italia“, im Thema Force Majeure steht (ganz unsystematisch), dass:
- Covid Epidemie als „Naturkatastrophe“ (nur) im Bereich von Flugzeugstransporten formell anerkannt wird (Art 79). Der Begriff „Force Majeure“ wird hier nicht verwendet.
- Reservierungen für Hotels, sowie Tickets für Veranstaltungen, Museen und andere kulturellen Angelegenheiten, die wegen der Coronaviruseinschränkungen nicht genutzt werden können, durch ein Voucher ersetzt werden können. Das Voucher muss(te) aber innerhalb von 30 Tagen (ab Inkrafttreten des Dekrets) vom Verbraucher beantragt werden und gilt bis zu einem Jahr ab Ausstelldatum. D.h. wenn der Verbraucher innerhalb der og. Fristen nichts beantragt, wird er sein Geld automatisch verlieren (Art. 88).
- Im Falle von Nichterfüllung von Vertragsverpflichtungen oder Verzug wegen COVID-19 (auch in öffentlichen Verträgen) wird die Haftung des Schuldners immer ausgeschlossen und mögliche Vertragsstrafen und Ausschlussfristen nicht angewendet (Art. 91). Die öffentliche Verwaltung hat für die Freistellung von der Haftung keine Beweispflicht.
4) Handelskammerzertifikat
Auch die zuständigen italienischen Handelskammern haben, ähnlich wie in China, angefangen, auf Anfragen der Firmen Coronaviruszertifikate auszustellen. Diese Zertifikate gelten aber nur für Auslandsgeschäfte und nicht für Inlandsgeschäfte. Dieser Ausschluss ist unseres Erachtens nach zwar nicht begründet, hat zur Zeit allerdings Geltung.
Außerdem tragen die jeweiligen Handelskammern keine Haftung für die Erklärungen der Firmen, die in solchen Zertifikaten enthaltet sind.
5) Unsere Empfehlungen
Aus den o.g. Gründen empfehlen wir, alle geschäftlichen Beziehungen sorgfältig zu prüfen, bewerten und folgende Punkten in der dargestellten Reihenfolge zu berücksichtigen:
A) Wenn ein Vertrag zwischen den Parteien besteht, sollte dieser zuerst analysiert werden; häufig ist im Vertrag bereits eine Force Majeure Klausel mit bestimmten Konsequenzen enthalten.
B) Wenn der Vertrag keine Force Majeure Klausel enthält, muss vorab das anwendbare Recht festgestellt werden. Wenn italienisches Recht anwendbar ist, gelten die Bestimmungen des ital. Zivilgesetzbuchs (d.h. eine, unter Umständen, Aufhebung des Vertrages ohne Schadensersatzpflicht).
C) Die ital. Rechtsprechung unterscheidet aber seit langem zwischen Force Majeure (unmögliche Leistung ohne Schadensersatzpflicht) und Hardship (wenn die Leistung schwieriger und aufwendiger, aber nicht unmöglich, geworden ist); im letzten Fall bleibt die Schadensersatzpflicht des Schuldners bestehen!
D) Die neuen Dekrete der italienischen Regierung (vor allem „Cura Italia“, Gesetzesdekret N. 18 vom 17.03.2020), mit unsystematischer Regelung der Force Majeure, müssen analysiert werden, um eventuelle Sonderregelungen für einige spezifische Bereiche zu „entdecken“ und prüfen.
E) Wir empfehlen auf jeden Fall die bestehenden Verträge, wenn möglich, umgehend neu zu verhandeln, um die Verpflichtungen so bald wie möglich auszugleichen.
F) Alle neuen Verträge sollten eine Force Majeure Klausel für Epidemien und andere nicht vorhersehbare Ereignisse aufnehmen.
Diese Pandemie hat zu einer globalen massiven Änderung der Wirtschaft, der Sozial- und Rechtsbeziehungen geführt. Alle Einschränkungen und Lockdownmaßnahmen, bis zum ökonomischen Wiederaufbau, wurden in Italien mit Eildekreten der Regierung eingeführt, welche aber durch das Parlament noch bestätigt, adaptiert oder aufgehoben werden könnten. Hier ist alles noch im Fluss, deshalb müssen wir noch warten bevor die Ergebnisse (sowie alle rechtlichen Effekte dieser Krise) umfassend bewertet werden können.
Für Fragen und Beratung steht die Kanzlei Dusilaw Legal&Tax unter m.dusi@dusilaw.eu selbstverständlich gerne zur Verfügung.
Sie gelangen hier zur Audio Datei des Vortrages von Rechtsanwalt Mario Dusi:
Super geschriebener und informativer Artikel :-). In diesen Blog werde ich mich noch richtig einlesen